Die Vertrauensfrage in den deutsch-französischen Beziehungen

Dienstag, 11. Oktober 2016 | 

Als ich mein Praktikum beim Bundesministerium für Bildung und Forschung absolvierte, ist mir die Überzeugung einer Vorgesetzten im Gedächtnis geblieben: nämlich dass immer mehr europäische Mitarbeiter im Bundesministerium arbeiteten, was sehr zu begrüßen sei. Es gäbe aber einen Unterschied zwischen französischen und anderen europäischen Mitarbeitern, weil man sich zwischen Franzosen und Deutsche vertraue. Diese Aussage habe ich im Rahmen meiner Bachelorarbeit hinterfragt.
16_10_04_ba_zfassung_rosier-2Misstrauen aber auch Vertrauen prägen die politischen Diskurse und Medienschlagzeilen zu den deutsch-französischen Beziehungen. Aus einer wissenschaftlichen Sicht habe ich mir die Frage gestellt, inwieweit die deutsch-französischen Beziehungen in der Europäischen Union bloß eine Vertrauensfrage sind? Ich nehme in meiner Arbeit als Ausgangsthese an, dass es sich lohnt, die deutsch-französischen Beziehungen anhand des bislang nur unzureichend untersuchten Vertrauenskonzepts zu analysieren.

„Wofür steht der Vertrauensbegriff`?“

Ein multiperspektivischer Ansatz soll in meiner Arbeit dazu dienen, den Vertrauensbegriff in seiner ganzen Bandbreite zu betrachten, indem die drei folgenden Verständnisansätze vereint werden: Vertrauen als Notwendigkeit (Systemtheorie von Niklas Luhmann), Vertrauen zwischen Kalkül und Emotion (aktuelle Vertrauensforschung der internationalen Beziehungen) und Vertrauen als Solidarité de fait (von Jean Monnet), das heißt als graduelle Interdependenz bis zur politischen Integration. Mithilfe dieser drei Zugänge können kann ich im empirischen Teil Einzelaspekte der deutsch-französischen Beziehungen auswerten, bei denen staatliche Kooperation gefordert ist.

Das Vertrauensverhältnis zwischen Deutschland und Frankreich

16_10_04_ba_zfassung_rosier-3

Die Studierenden geben ihre B.A.-Arbeit ab.

Wenn man auf das Vertrauensverhältnis beider Staaten in seiner ganzen Mehrdimensionalität blickt, kann man bestätigen, dass die deutsch-französischen Beziehungen von Vertrauen geprägt sind. Nach Luhmanns Ansatz berufen sich die deutsch-französischen Institutionen eher auf routinierte Alltagsgeschäfte, sodass man auch von Zuversicht neben dem Vertrauen sprechen könnte. Gerade in Krisensituationen wie der Wirtschaftskrise wurde Vertrauen nicht in Institutionen sondern zwischen politischen Führungspersönlichkeiten kommuniziert.

Die emotionalen und rationalen Ansätze der internationalen Beziehungen haben sich für die Kooperationsbereitschaft beider Staaten als komplementär erwiesen. So lässt sich die gemeinsame Herausgabe eines deutsch-französischen Geschichtsbuchs durch die Selbstwahrnehmung beider Staats-und Regierungschefs als gebundene Akteure einer Wertegemeinschaft -der Europäischen Union- erklären. Das Vertrauensverständnis als Kosten-Nutzen Kalkül hilft, die Überwindung von wichtigen Krisensituationen zu verstehen. Die Schaffung der Europäischen Währungsunion Anfang der 1990er Jahre diente sowohl den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands, da die Union deutschen Prinzipien folgte, als auch dem diplomatischen Interesse Frankreichs, weil dadurch ein übermäßiges Erstarken Deutschlands im Zuge der Wiedervereinigung verhindert werden sollte.

Die Solidarité de fait liefert wichtige Erkenntnisse für die Herausbildung, Vertiefung und Zukunft des deutsch-französischen Vertrauens selbst. So wurde aus einem bindenden Vertrauen gegenüber Handelspartnern die Bereitschaft zu einer tieferen politischen Integration. Vertrauen ist viel mehr als der naive Glaube an die freundliche Gesinnung des anderen oder an die Verpflichtung durch gemeinsam geschaffene Regeln. Vertrauen ist oft ein pragmatischer Akt, verstärkt durch ein europäisches Zugehörigkeitsgefühl. In einer Zeit, in der die Versöhnungsgeschichte ihre politische Symbolkraft verliert und für die nächste Generation an Ausstrahlung einbüßt, gewinnt eine funktionalistische Begründung der deutsch-französischen Beziehungen an Bedeutung.

Nach dem Verfassen dieser Arbeit sehe ich das deutsch-französische Vertrauen als eine vielsprechende Ressource, die für mich im Moment zwar noch zu sehr an Personen gebunden ist, jedoch Potenzial hat, anhand deutsch-französischer Institutionen viel differenzierter zu werden.

Von: Emilie Rosier

Thema: Aix-en-Provence, Freiburg, Studierende stellen ihre Arbeit vor, Was ist Neu? | Beitrag kommentieren